Über

Entdeckung eines Rohdiamanten

Von Dr.Hermann-Josef Simonis


Im Jahre 2006 suchte mich ein 30 jähriger Patient wegen schlimmen Hustenattacken als Hausarzt auf.

Erst einmal waren alle Abklärungsversuche gescheitert und ich musste ihn bei seinem 1 € Job lange

krankschreiben. Auch die Amtsärztin fand bei der Überprüfung keine Ursache für sein Leiden und

entschied, dass er diese Arbeit bei Wind und Wetter nicht mehr ausüben könne und Zuhause bleiben

solle. Ich vermutet zeitweise, dass es psychosomatische Beschwerden sein könnten und er seinem

unterfordernden Arbeiten/Arbeitgeber „einen Husten“ wolle. Bei einem der Gespräche offenbarte er mir,

dass er eigentlich Zahntechniker sei, aber als polnischer Staatsangehöriger hier keine Arbeitsstelle

bekommen habe. Sein Hobby seien künstlerische Arbeiten, bei denen er sich prima entspannen und

Freude finden könne. Als ich Interesse an Kunst zeigte, lud er mich ein, ihn einmal besuchen zu kommen.

Bei Hausbesuchen in dem kleinen Hunsrückdorf Altlay nutzte ich die Chance und besuchte ihn.

An den Wänden des Wohnzimmers fielen mir sofort die sehr schönen Radierungen der fünf Kinder auf.

Neugierig erkundigte ich mich nach dem Namen des Portraitzeichners. Herr Perschke meinte bescheiden

dass es seine eigenen Zeichnungen seien. Ich konnte kaum glauben, dass dies seine Werke waren,

da sie so perfekt aussahen. Ich fragte ihn, ob er Kunst studiert habe, was er verneinte.

„Wenn Sie Interesse haben, zeige ich Ihnen gerne ein paar andere Werke!“ mit diesen Worten führte er

mich in den Garten, wo er mir einen großen Schieferbrocken zeigte, in den ein ausdrucksstarkes Gesicht eingefräst war, welches Luft aus seinen dicken Backen pustete. Dann entdeckte ich auf einer Mauer ein weiteres Gesicht, welches aus einer Baumwurzel herausschaute und sehr geheimnisvoll wirkte.

Besonders stolz war der Hausherr und Hobbykünstler auf eine überlebensgroße Skulptur, einen Roboter aus Schrottteilen, welche mich allerdings weniger beeindruckte.

Schließlich führte mich Herr Perschke in einen kleinen Kellerraum, wo er viele Holzskulpturen mit einer Kettensäge und Schleiftellern gefertigt hatte. Einerseits erschreckten mich diese teilweise dämonenhaften Figuren, andererseits regten sie mein Interesse an Deutungsversuchen, was wohl der Künstler damit ausdrücken wollte. Als Psychotherapeut sah ich in vielen Werken psychologische Themen verarbeitet und viele meiner Interpretationen entsprachen dem Ausdrucksziel des Urhebers.

Am tiefsten beeindruckte mich eine fast menschenähnliche Figur eines zusammengekauerten Wesens, welches einen rätselhaft und flügelartig gespaltenen Kopf hatte. Diese Skulptur wurde von einem Weidengeflecht umgeben, welches sie scheinbar fesselte.

Die Haltung des Wesens mit an die Brust gezogenen Beinen schien mir Ängstlichkeit auszudrücken. Nun kam mir die Idee, dass wir Menschen meist durch Ängste gelähmt bzw. gefesselt werden.

Doch was sollte dann dieser flügelartig gespaltene Kopf des Wesens bedeuten?

Nach längerem Grübeln hatte ich dann meinen Deutungsansatz gefunden: „Angst fesselt unsere Entfaltung!“ Als Psychotherapeut muss ich meist gegen diese einengenden und lähmenden Ängste und Selbstzweifel ankämpfen, damit meine Patienten sich weiterentwickeln können.

Mir kam nun die Idee, dieses Kunstwerk zu kaufen und in meinem Sprechzimmer als symbolhaftes Anschauungsobjekt zu nutzen.

Bei den folgenden Kontakten mit Przemyslav Perschke motivierte ich ihn, sein in meinen Augen sehr großes Talent zu nutzen, an sich weiter zu arbeiten und vielleicht als Künstler seiner Berufung nach zu gehen.

Da ich gerade mein Haus, die „Wellenburg“ plante, fragte ich ihn, ob er Interesse habe, mir bei der künstlerischen Innen- und Außengestaltung zu helfen.

Er war direkt begeistert und gestaltete mir mit der Kettensäge große Holzskulpturen aus Baumstämmen, wie z.B. Adam und Eva. Schon bei diesem Werk konnte man seine rasante Weiterentwicklung vom künstlerischen Rohdiamanten zum ausdrucksstarken Bildhauer erkennen.

Obwohl er nie Kunst studiert hatte und nur einen Leistungskurs auf der Schule freiwillig besuchte, stimmten die Proportionen anatomisch, sodass ich als Mediziner überrascht war.

Ich fragte ihn, wie er dies so schnell sich beigebracht habe und ob er schon als Kind talentiert gewesen sei.

Er schilderte, dass er schon als ganz kleiner Junge stundenlang in der Heimatkirche die wunderschönen alten Holzskulpturen bewundert habe. Das künstlerische Talent komme eher von der mütterlichen Seite. Der Vater habe ihm seine technische Begabung und sein gutes Vorstellungsvermögen vererbt. So entwickelte sich schon in früher Kindheit der Wunsch, auch einmal Holzskulpturen zu gestalten. Viele Kunstatlanten im Elternhaus inspirierten ihn dahin gehend, dass er bereits als 10 Jähriger den „Denker“ von Rodin aus Knete formte.

Als Jugendlicher verbrachte er viele Stunden in einem großen Buchladen und schaute sich begeistert die Werke seiner Lieblingsmeister Dali, Michelangelo, Leonardo da Vinci und des polnischen Jugendstilmalers: Malczewski Wyspionski an.

Sich selber beschreibt Przemyslav:

Ich war immer ein wilder Rebell, der lange die Schule schwänzte, Unfug machte und sehr freiheitsliebend war.

Als ich das Album meines Landsmannes und Malers Beksinski im Buchladen entdeckte, war es für mich wie ein Donnerschlag!

Er beschäftigte sich mit dem Thema Tod und Vergänglichkeit, was auch mich bis heute fasziniert, wie man an meinen Skulpturen erkennen kann. Auch ich habe Angst vor dem Tod und will mich deshalb mit ihm vorher verabreden, mich reinigen, um ihm angstfreier ins Auge schauen zu können!

Wenn wir uns mit dem Tod nicht auseinander setzen, dann neigen wir Menschen dazu, oberflächlich zu leben und unsere Lebenszeit zu vergeuden! Der Endlichkeit bewusst, leben wir intensiver!

Ich kann durch meine Werke das loswerden, was mich bedrückt und somit lebensfroher im Alltag sein. Die dunklen Seiten waren in meiner Fantasie immer reizvoller gewesen. Dennoch bin ich sehr sensibel und schmerzhaft berührt bei Brutalität und Ungerechtigkeiten.

Mir war Sport, Singen, Kunst und mathematische Aufgaben immer sehr leicht gefallen, weswegen ich sie aber auch nicht so sehr entwickelte und nicht hart an mir arbeitete.

Meine Undiszipliniertheit und geringe Motivation ließen mich wegen orthographischer Schwächen durch das Abitur fallen. Wenn man mich demütigt, werde ich zum Kämpfer. Meine Stärken sind meine Phantasie ohne Grenzen, meine Begeisterungsfähigkeit, meine Improvisationsfähigkeit, handwerkliches Geschick und eine gute visuelle Vorstellungskraft dem Ehrgeiz, diese in meinen Kunstwerken umzusetzen.“

Noch heute schaut sich Przemyslav im Internet die namhaften Kunstwerke von Rodin, Barlach und die alten Meister stundenlang an, scheint sie in sein Gehirn zu programmieren und bei klassischer Musik über Kopfhörer arbeiten seine Hände von selber, sodass er sich nirgendwo besser entspannen kann, als bei seinen künstlerischen Arbeiten.

Ich bin sehr glücklich, ihn als sehr offenen, tiefgründigen und liebenswerten Freund gewonnen zu haben und wünsche ihm weiterhin viel Freude und Erfolg bei seinem Schaffen:

Dr. Hermann-Josef Simonis